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Politik und Biografie(arbeit)

Politik ist ein alltägliches Phänomen, das alle betrifft und auf das viele, ja alle einen Einfluss haben – auch wenn sie sich nicht bewusst politisch engagieren. In Anlehnung an den Watzlawick’schen Satz aus der Kommunikationspsychologie („Man kann nicht nicht kommunizieren.“) ließe sich sagen: Man kann politisch nicht nicht handeln.

Dies wussten schon die „alten Griechen“: Alle Menschen leben in einem Gemeinwesen („Polis“) und gestalten darin ihre Beziehungen bzw. werden durch sie gestaltet. Ihr alltägliches Verhalten, z.B. was und wie viel sie einkaufen und konsumieren, hat Auswirkungen auf andere – sei es im persönlichen Nahraum oder in anderen Teilen der Welt. Der Mensch ist ein „zoon politikon“ (Aristoteles), ein politisches Wesen – ob er will oder nicht.

Das individuelle, politisch bedeutsame Verhalten ist – wie alles andere Denken und Fühlen, Wollen und Handeln auch – biografisch geprägt. Erfahrungen im Elternhaus, mit den Geschwistern, in der Schule, in der Peergroup und darüber hinaus haben uns unbewusst (z.B. durch Vorbild) und bewusst (politische oder moralische Erziehung) geprägt und nehmen ganz alltäglich Einfluss auf unser politisches Tun und Lassen.

Weiterhin haben auch Ereignisse aus der „großen Politik“ oder geschichtliche Ereignisse Einfluss auf unsere Biografie gehabt: Dies wurde mir gerade wieder anlässlich der Gedenkfeiern zu den Olympischen Spielen in München und dem damaligen Terroranschlag bewusst. Ich war damals zehn Jahre – und die Erfahrungen des 10jährigen haben sicher meine Einstellungen zu Pazifismus und Gewaltlosigkeit u.a.m. beeinflusst.

Wie sehr politische Ereignisse und Entwicklungen unsere Biografie beeinflussen und gegebenenfalls vergangene Erfahrungen und Empfindungen wieder aktivieren können, wurde auch zu Beginn des kriegerischen russischen Überfalls auf die Ukraine deutlich: Zum einen wurden bei den sehr betagten Menschen, die den Zweiten Weltkrieg bzw. die Besatzungszeit in Deutschland noch miterlebt haben, viele Gefühle und Erinnerungen mit „den Russen“ wieder angetriggert. Zum anderen kam es auch bei jüngeren Generationen, die während des Kalten Krieges aufgewachsen sind, zu emotionalen Reaktionen: Die Gefahr eines möglichen Atomkriegs reaktivierte alte Ängste.

Sowohl aus der Lernpsychologie, als auch aus der Gehirnforschung ist seit geraumer Zeit bekannt, dass Lernen sich u.a. dadurch vollzieht, dass neue Erfahrungen bzw. neues Wissen an vorhandene biografische Wissensbestände, Einstellungen und Handlungsmuster angekoppelt werden. Aus Informationen (z.B. im Rahmen politischer Bildung vermittelt), die nicht biografisch anschlussfähig sind, wird kein persönliches (Handlungs-) Wissen.

Insofern scheint für die politische Bildung die grundlegende Notwendigkeit zu bestehen, ihre Impulse mit den biografischen Vorerfahrungen und Prägungen der Teilnehmer und ihrer aktuellen Lebenswelt zu verbinden. So wie es in einem Konfliktseminar Sinn macht, sich auch mit der eigenen Konfliktbiografie zu befassen, oder wie es in einem Entscheidungstraining lernförderlich ist, seine Entscheidungsbiografie zu reflektieren, so ist es auch für eine nachhaltige politische Bildung erforderlich, biografische Bezüge herzustellen und einzubinden.

Durch die Corona-Pandemie, den Überfall auf die Ukraine und die mögliche Gas-/Energiekrise werden viele politische Phänomene und Themen wieder offensichtlich: Gerechtigkeit und Freiheit, Solidarität und Gemeinwohl – um nur ein paar zu nennen. Das eigene Verhalten wurde politisch – es betraf die „polis“, das Gemeinwesen – und politische Entscheidungen beeinflussten in sehr intensiver Weise das eigene (Er-) Leben. Im Verhalten vieler Menschen wurde und wird erkennbar, welche politischen Prägungen i.w.S. sie erlebt haben: im Horten von Toilettenpapier, in der Rücksichtnahme auf andere, im Befolgen von Regeln u.a.m.

Es wird erkennbar, vor welch großen Herausforderungen eine politische Bildung steht, die auf mehr abzielt als auf Informationen über gesellschaftliche, wirtschaftliche oder ökologische Zusammenhänge.

Dies erscheint insbesondere und umso mehr als bedeutsam, als davon auszugehen ist, dass die Anzahl der Krisen zunehmen, deren Abfolge sich beschleunigen und deren Auswirkungen auf unser alltägliches Leben noch grundlegender sein werden Der ZEIT-Redakteur Bernd Ulrich spricht von „Krisenpermanenz“ und „Post-Normalität“ (DIE ZEIT, 13/2022, S. 4). Die politische Bildung ist also mehr denn je herausgefordert, bewusstseinsbildend und verhaltensverändernd zu wirken. Sie sollte dabei auch verstärkt auf den biografischen Ansatz zurückgreifen.


Das Seminar zum Text:

Politik und Biografie(arbeit) am 11./12. Nov. 2022 in St. Virgil Salzburg

Politik und Biografie(-arbeit) - Veranstaltung / www.virgil.at




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